05.09.2019
„Nur Feingold muss nicht versteuert werden“
Seit Jahren herrscht
in der Schmuckbranche Unstimmigkeit: Müssen die Edelmetall-Lieferanten beim
Verkauf von Halbzeug Mehrwertsteuer abrechnen oder nicht? Jean-Christophe Gyr,
Inhaber und Geschäftsführer der Gyr Edelmetalle AG, hat nach einer
Mehrwertsteuer-Revision neue Informationen erhalten.
Gold’Or: Jean-Christophe Gyr, die Eidgenössische Steuerverwaltung
ESTV, Bern, hat im Mai die Bücher der Gyr Edelmetalle AG geprüft. Was ist dabei
herausgekommen?
Jean-Christophe Gyr: Neun ganze Arbeitstage hat die
Mehrwertsteuerbehörde investiert, um unsere Bücher für die Periode von 2013 bis
2018 auf Herz und Nieren zu prüfen. Das dauerte nicht etwa wegen unserer
schlechten Buchhaltung so lange, sondern weil die Mehrwertsteuer-Thematik in
unserem Business so schwierig ist.
Wo liegt die Herausforderung?
Seit Jahren ist unklar, ob der Goldanteil bei Halbzeuglieferungen
der Mehrwertsteuer unterliegt oder nicht. Die Gyr Edelmetalle rechnet
Mehrwertsteuer ab, einige Mitbewerber tun dies nicht. Das hat uns in den
letzten Jahren nicht nur einen Kunden gekostet und wir haben mehrmals um
Klärung dieser Frage gebeten. Weil nie etwas passiert ist, haben wir der ESTV
im November 2018 schriftlich mitgeteilt, dass wir die Steuer nur noch unter dem
ausdrücklichen Vorbehalt der Rückforderung bezahlen.
Was stellte die ESTV bei der Prüfung fest?
Für die sechs geprüften Jahre stellt sie eine Nachforderung in der
Höhe von 4196 Schweizer Franken. Dieser Betrag kommt vor allem von
Meinungsunterschieden bei der Weiterverrechnung von Arbeitsstunden an eine
Tochtergesellschaft, die nicht mehrwertsteuerpflichtig ist. Insgesamt – und das
ist für uns sehr wichtig – stellten die Spezialisten aber fest, dass die
Mehrwertsteuer in den vergangenen Jahren in Bezug auf Lieferungen von
Gold-Halbzeug, Rechnungen, Spesen und so weiter korrekt und nach den
Richtlinien der ESTV abgerechnet worden ist.
Was sagen diese Richtlinien denn genau?
Gemäss ESTV ist es nicht relevant, wie der Text auf der Rechnung
lautet (Bsp. Feingold), sondern es ist ausschlaggebend, welche Legierung das
Haus verlässt. Halbzeug in Gold 750 wird anders gehandhabt als Feingold 999,9;
nur Feingold ist nicht mehrwertsteuerpflichtig.
Weshalb setzt die ESTV diese Regel nicht einfach in der ganzen
Schweiz durch?
Unsere Mitbewerber zweifeln die Auslegung des
Mehrwertsteuergesetzes an und zahlen deshalb nicht. Da die
Mehrwertsteuerbehörde ihre Interpretation nur durch einen Gerichtsentscheid
erzwingen kann, geht das Ganze wohl auf den rechtlichen Weg – und da es um viel
Geld geht, nehme ich an, dass der Prozess bis an die letzte Instanz, also an
das Bundesgericht, gehen wird. Aber – und hier ist das Problem – bis ein
definitiver Entscheid in Lausanne getroffen wird, können noch gut und gerne
vier bis sechs Jahre ins Land ziehen.
Was passiert, wenn das Bundesgericht der ESTV in sechs Jahren
recht gibt?
Unternehmen, die die Mehrwertsteuer bisher anders als wir oder gar
nicht abgerechnet haben, müssen in diesem Fall die nicht abgelieferte Steuer
inklusive Verzugszinsen nachzahlen.
Und was passiert im umgekehrten Fall?
Sollte das Bundesgericht tatsächlich die Meinung unserer
Mitbewerber stützen und entscheiden, dass auf dem Bezug von Goldhalbzeug keine
Mehrwertsteuer abzurechnen ist, würden wir unseren Kunden die eingezahlten
Steuern zurückerstatten und diesen Betrag wiederum bei der ESTV einfordern. Ich
rechne aber nicht mit diesem Szenario.
Weshalb?
Erstens, weil dem Bund sehr hohe Beträge verloren gehen würden.
Zweitens, weil mir alle Ansprechpersonen, darunter sowohl die Leiterin der
Mehrwertsteuerbehörde wie auch weitere Spezialisten versichert haben, dass sie
nicht davon ausgehen, vor Bundesgericht zu unterliegen.
Wie geht es für Sie nun weiter?
Die Gyr Edelmetalle AG ist sehr zufrieden mit dem Ergebnis der
Prüfung. Wir halten uns weiter an die Vorgaben der Mehrwertsteuerbehörde, um
auf gar keinen Fall die Firma oder unsere Kunden in Gefahr zu bringen. (twf)
Quelle: Gold’Or 6/19